Rezension zur Ausstellung "abgedeckt"

Rezension zur Ausstellung "abgedeckt"

Medienmitteilung

Die in Lajen lebende und arbeitende Künstlerin Elisabeth Frei hat die zweieinhalb Jahre seit Beginn der Pandemie im Winter 2020 wie wohl alle Südtiroler*innen intensiv erlebt und wahrgenommen. Als enorme Belastung auf persönlicher Ebene, als Herausforderung für Politik und Gesellschaft, sie hat aber auch darin liegende Chancen erkannt. Elisabeth Frei nutzte die Phasen von Lockdown und erzwungener Isolation, um auf das komplexe, oft undurchsichtige Zeitgeschehen künstlerisch zu reagieren: Mit geschärfter Wahrnehmung, in subtiler Verknüpfung von Ironie und unerwarteten Pointen, die erhellende Einsichten bieten. Ihre „Südtiroler Lockdown Variationen“, in mehreren Galerien gezeigt, haben starke Resonanz gefunden.

Den so erzielten Perspektivenwechsel hat Frei genutzt, um auf politische Turbulenzen der jüngsten Monate, die Südtirol teilweise stark aufgewühlt haben, neuerdings mit künstlerischen Mitteln zu reagieren. Nicht mit forcierter Skandalisierung, sondern in der subtilen Darstellung von Paradoxien und Widersprüchen in Politik und Gesellschaft. Nicht als Aufdeckerin, sondern durch Abdecken von Farben und Situationen, durch Verschieben von Perspektiven und Blicken.

Mit diesen doppelten Interventionen schafft Elisabeth Frei ein Narrativ der jüngsten Epoche, das vertraut anmutet, dabei befremdend wie befreiend wirkt; keine Anklage, aber eine Chronik der Paradoxien, ein Vademecum durch das pandemisch-politische Absurdistan. Künstlerisch einfallsreich: Von der Zeichnung über Acryltechnik bis hin zur Collage; eine Dokumentation von bleibendem Wert und hoher Expressivität.

Die Ausstellung wird in der Galerie Völs am Kirchplatz am 24. Juni 2022, um 18 Uhr eröffnet, zugleich der Katalog der „Südtiroler Lockdown Variationen“ präsentiert; Einführung von Hans Heiss.

Sehr geehrte Gäste der Vernissage, geschätzte Mitglieder des Kulturvereins Völs, lieber Reinhold, sehr geehrte Andrea Lanthaler, liebe/r Markus, Elisabeth Frei mit Familie,

wenn der Sommer beginnt, scheint das Leben leichter, der Alltag entspannter, entlastet durch Urlaubszeit und Ferienbeginn. Ab Mitte Juni verflüchtigen sich viele Sorgen, es wächst die Lust auf ein Leben jenseits von Zwängen und Arbeitsdruck. Hier in Völs, in einer klassischen Sommerfrische Südtirols, sind solche Empfindungen bestens nachvollziehbar.

In letzter Zeit ist die Sehnsucht nach Entlastung  unter dem Schraubstock der seit zweieinhalb Jahren anhaltenden Krise enorm gewachsen. Nie waren Urlaubsgelüste größer als heuer, Autobahnen und Flughäfen sind überfüllt und die Buchungen reißen nicht nicht mehr ab. Der Wunsch ist mehr als verständlich, Vergangenes hinter sich zu lassen, auf dem Zauberteppich von Reisen und Urlaub, eine Strategie der Bewältigung, mehr aber noch der Flucht und des Eskapismus.

Auch Elisabeth Frei reagiert in ihrer Ausstellung „abgedeckt“ auf die Zumutungen der Aktualität. Sie verzichtet auf Fluchtbewegungen, sondern sucht vielmehr einen anderen Weg der Befreiung von den Herausforderungen der Gegenwart. Elisabeth wählt den Parcours der Kunst, und überträgt existenzielle Fragen in eine veränderte Dimension, in den Raum des Ästhetischen. Sie greift Krisenphänomene auf und verarbeitet sie in originären Ausdrucksformen, als eine der wenigen Künstlerinnen und Künstler Südtirols, die Pandemie, Politik und die Umwälzung des Alltags als erkundenswerte Themen begreifen. Sie nutzt sie als lohnende Sujets für Tiefenbohrungen, die sie mit scheinbarer Leichtigkeit durchführt.

Der Titel ihrer Ausstellung „abgedeckt – scoperto“ bringt das von Elisabeth gewählte Verfahren auf den Punkt: Sie greift Momente, Ereignisse und Situationen der Pandemie auf, widmet sich jüngsten Politskandalen und dem veränderten Alltag, entzieht sie aber durch Verfremdung und Veränderung oberflächlichen Klischees.

Elisabeth Frei ist eine Meisterin des Perspektivenwechsels. Sie hat seit langem die Kehr- und Rückseite als Chance entdeckt, um Sichtweisen zu drehen und herkömmliche Wahrnehmungsweisen aufzubrechen. Sie wählt oft radikal veränderte Zugänge zur Welt, die uns Betrachtern unverhoffte Eingebungen und Blickfelder erschließen. Sie beherrscht meisterlich eine Strategie der Enttypisierung, die aber nicht Schock bedeutet, sondern erhellt und den Betrachtenden vertraut. Elisabeth forciert nicht, wohl aber fordert sie, mit der ihr eigenen, entschiedenen Eindringlichkeit. Ihre vor Jahren entstandenen Rückenbilder von Lajener Zeitgenossen sind ein Exempel dafür, wie man Porträts von Personen als Rückenansicht ebenso individuell entwerfen kann, wie fein porträtierte Gesichtszüge. Ihr Zyklus „Ecce Musca“ erschließt die Welt multiperspektivisch über das Auge und die Existenz der Fliege.

Die Völser Ausstellung, ermöglicht durch den Kulturverein, aufgebaut mit Hilfe von Tochter Linda und ihres Mannes Peter, zeigt zwei Schwerpunkte ihrer jüngeren Arbeit: Sie bietet zum einen eine Auswahl der „südtiroler lockdown variationen“, die bereits an mehreren Orten Südtirols gezeigt wurde. Zentral darin ist das Motiv der Pandemie und ihr Niederschlag in der Gesellschaft und den Landschaftsszenarien Südtirols. Die gut 30 im Keller versammelten Variationen zeigen ein überwiegend ländliches Südtirol unter dem Trommelfeuer von Corona, unter dem Druck seiner Impf- und Maskenzwänge, durchgerüttelt von stetig veränderten gesetzlichen und sozialer Normen. Elisabeth Frei präsentiert aber keine realen Alltagssituationen, sondern bettet das Pandemie-Geschehen ein in klassische Idyllen und Szenarien unseres Landes. Es sind ikonenhafte Landschaftsszenarien im Gebirge und Dörfern, Menschengruppen in betont ländlichen Habitus. Oft sind es Mander im blauen Schurz, dem durchgehend präsenten „Firtig“, bei der Arbeit, beim Karten und am Dorfplatz. In die hyper-ruralen Urbilder Südtirols, die längst zu touristischen Klischees geronnen sind, bricht die Pandemie als neue Lebensform und Alltagsnorm ein. Die dargestellten Personen tragen Maske, sie zücken Spritzen, stehen an, sie ordnen aber die Herausforderung gelassen und mit trotzigen Gleichmut in ihren Alltag ein. Die Bilder nutzen systematisch Fotos aus alten Südtiroler Bildbänden, die abgedeckt werden, um damit aufzudecken, mehr noch – zu entdecken. Die Bilder sezieren Südtirolklischees und pandemische Wirkungen gleichermaßen, mehr noch: Klischees und Epidemie-Exzesse werden aufeinander losgelassen und neutralisieren sich gegenseitig: Landschaftskitsch trifft auf Corona-Auswüchse, sodass letztlich beide zerfasern, die doppelte Pandemie von Kitsch und Krankheit entzaubert sich gegenseitig.

Bestimmend ist das Verhältnis von Nähe und Distanz, das Andrea Lanthaler als zentrale Signatur der Pandemie hervorhebt. Sie gebietet steten Abstand, der uns, wie Lanthaler im Sinne von Arthur Schopenhauer betont, zu einer „Gesellschaft von Stachelschweinen“ transformiert, die sich zu wärmen versuchen, dabei aber ständig Gefahr laufen, sich zu verletzen. Die Lockdown-Variationen machen deutlich, wie der Alltag letztlich auch die Pandemie überformt. Unser Land und seine Gesellschaft beweisen auch in dieser Situation: Wir sind Meister der Anpassung, oft Virtuosen des Opportunismus, unter der Südtiroler Gewissheit: „Loss lei gian, es geaht schun ummer“. Aber nicht zuletzt - und das ist eine subversive Botschaft der Lockdown-Bilder - fordert die dargestellte Lächerlichkeit mancher Pandemiereaktionen auch dazu auf, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Frei hingegen lädt dazu ein, sie zu relativieren und einzubetten in eine Gelassenheit, die die „Lockdown Variationen“ ausstrahlen. Die oft wütende Verbissenheit löst sich auf in befreiende Heiterkeit.

In den zwei Räumen im Erdgeschoss, hinter unserem Rücken, finden sich Arbeiten, die auf jüngste Ereignisse und Situationen, auf Südtiroler Trends und Skandale reagieren. Die Turbulenzen im Zeichen der Mehrheitspartei, die Sumpfblüten und Amigo-Partien des Edelweiß, die Dauerbrenner Tourismus, Medienein- und vielfalt werden aufgegriffen und aufgespießt. In bewährtem Perspektivenwechsel reagiert Elisabeth Frei nicht mit forcierter Skandalisierung, sondern in der subtilen Darstellung von Paradoxien und Widersprüchen in Politik und Gesellschaft. Nicht primär als investigative Aufdeckerin, sondern durch Abdecken von Farben und Situationen, durch Verschieben von Perspektiven und Blicken. Und immer im Vertrauen auf die Betrachtenden, die Elisabeth Frei für mündig genug erachtet, um die Situationen zu erkennen und ihre künstlerische Interpretation als befreiende Anregung zu begreifen. Manche Bilder erinnern an Interventionen des deutschen Grafikers Klaus Staeck, der seit Jahrzehnten die Widersprüche der bundesrepublikanischen Gesellschaft in ähnliche Spannungsbögen gefasst hat, wenn auch ätzend-polemisch. Mitunter denkt man an Collagen des Südtiroler Kulturzentrums um 1975, wo der früh verstorbene Christian Pardeller ähnlich ausdrucksstarke Formate gewählt hat. Aber Elisabeth Frei ist souverän, hat ihren eigenen Blick, ihr eigenes, reiches Repertoire und eine treibende Produktivität, die hier in einer großen Auswahl versammelt ist, dokumentiert in einem schönen, eben erschienenen Katalog, den Andrea Lanthaler mit wohl platzierten Kommentaren unterbaut.

Mit diesen doppelten Interventionen schafft Elisabeth Frei ein Narrativ der jüngsten Epoche, der vicende sudtirolesi. Es mutet vertraut an, wirkt ebenso befremdend wie befreiend. Die Arbeiten sind keine Pamphlete, aber eine Chronik der Paradoxien, ein Vademecum durch das pandemisch-politische Absurdistan, das sich in Südtirol gebildet hat. Künstlerisch einfallsreich: Von der Zeichnung über Acryltechnik bis hin zur Collage; eine Dokumentation von bleibendem Wert und hoher Expressivität. Und die Variationen sind ein großes Geschenk, sie bieten Befreiung aus der lange lähmenden Lockdown-Situation der Zwänge und Selbstzwänge, als Einladung, unsere Freiheit selbst wiederzugewinnen und sie zu nutzen, als kostbares, stets gefährdetes Gut, als ein Firtig, das wir nicht ablegen sollten.

Hans Heiss